Ein bisschen Spaß muss sein, dachte sich womöglich der Auszubildende (A) bei einem Stahlunternehmen. An einem Morgen nahm der damals 18-Jährige in der Werkhalle einen konzentrierten und gesundheitsgefährdenden Superfettlöser und füllte diesen in die Trinkflasche eines Mitauszubildenden (M). Der sah das aber und ließ die Flasche unberührt auf der Werkbank stehen. Dort blieb sie, als die zwei Männer gemeinsam in die Pause gingen. Ein dritter Kollege griff sie, nahm einen Schluck, bemerkte rechtzeitig den merkwürdigen Geschmack und spuckte die Flüssigkeit aus. Auf die Betriebsratsanhörung gab es für A die fristlose Kündigung, für M eine Abmahnung. (…)

Der Sachverhalt ist unstreitig: Es gab den Vorfall mit der Flasche, wenige Wochen nach einer Schulung für die Azubis zu den gefährlichen Stoffen und den Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz. Dabei geht es um viel, ist an diesem Tag herauszuhören, und zwar im Zweifel um Leben oder Tod. Recht schnell klar wird aber auch: A hat zwar bewusst den Fettlöser in die Flasche gekippt und die Flasche stehen lassen – das hat er im Rahmen der internen Untersuchung zugegeben. Doch absichtlich schädigen wollte er weder den M noch den Dritten. Doch dass sein Verhalten eine große, mindestens grob fahrlässige Pflichtverletzung darstellt, da sind sich an diesem Tag wohl alle im Saal einig.

Doch was heißt das für einen Auszubildenden? “Die Musik spielt im Bereich der Interessenabwägung”, sagt Richter Klein. Es geht um die Frage: “Kann ein Ausbildungsverhältnis bei unstreitiger Pflichtverletzung fristlos gekündigt werden?” Das ArbG hatte das angenommen – und dafür spreche auch einiges. Zum Zeitpunkt des Vorfalls bestand das Ausbildungsverhältnis vier Wochen länger als die Probezeit – also noch sehr kurz. Das und die grobe Pflichtverletzung sprechen für das Recht des Arbeitgebers zur fristlosen Kündigung.

Dagegen steht der Gedanke des Berufsbildungsgesetzes (BBiG), Klein verweist insbesondere auf die Normen § 22 BBiG und § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Danach kann ein Ausbildungsverhältnis nur aus wichtigem Grund beendet werden. Die Besonderheiten der Ausbildungssituation müssten berücksichtigt werden, es gehe schließlich oft um besonders junge und charakterlich noch nicht gefestigte Auszubildende. “Dass das auf den Kläger zutrifft, kann man an der Tat feststellen”, konstatiert Richter Klein. Außerdem sei der 19-Jährige eben kein Arbeitnehmer, sondern Azubi, da gelte noch der Erziehungsgedanke und der, alles zu versuchen, um auch charakterliche Defizite geradezurücken – das müsse im Vordergrund stehen.

Der Verschuldensgrad jedenfalls kommt dem Vorsitzenden im Urteil des ArbG zu kurz – beim Einfüllen habe A genau gewusst, was er tat, “er wollte das Getränk kontaminieren”, sagt Klein. Doch das Stehenlassen, das zur Gesundheitsgefährdung führte – das könne man nur schwer unter Absicht und auch nicht unter vorsätzliche Begehensweise subsumieren, sondern eben als grobe Fahrlässigkeit. Selbst der beklagte Arbeitgeber habe nicht vorgetragen, dass es A darum ging, andere zu gefährden. “Ob es ihm aber gleichgültig war, das wäre eine interessante Frage an den Kläger gewesen, wenn er denn bereit gewesen wäre, der Berufungsverhandlung zu folgen”, so der Vorsitzende.

So aber ist die Kammer unentschlossen, ist weder von einem Obsiegen noch von der Erfolglosigkeit der Berufung überzeugt. Daher sei es “eine Unverschämtheit, hier heute nicht zu erscheinen”, so Klein. Es sei denn, A wäre krank – aber auch dann hätte er sich entschuldigen müssen. Kurz überlegt der Vorsitzende, von Ordnungsmitteln Gebrauch zu machen und die Verhandlung zu vertagen.

Doch wie so oft im Arbeitsrecht sind alle an einem Abschluss interessiert. Und so kommt es schließlich zu einem widerruflichen Vergleich – wohl auch, weil A schon zum 1. Mai einen neuen Ausbildungsplatz gefunden hatte. Es geht also nur um drei Monatsgehälter eines Azubis – für das Unternehmen ein überschaubarer Betrag. Wichtiger dürfte sein, ein Zeichen gesetzt zu haben, dass Spaß nicht mit gefährlichen Mitteln zu haben ist und der Arbeitgeber das sehr ernst meint.

Widerruflich vereinbaren die Parteien daher: Das Ausbildungsverhältnis wurde beendet und ordnungsgemäß abgewickelt, der Kläger bekommt wegen Aufgabe seines Besitzstandes 1.500 Euro, damit sind alle Ansprüche abgegolten bzw. ebenso wie der Rechtsstreit erledigt. Für den Fall des Widerrufs würde unverzüglich ein neuer Termin bestimmt und der Kläger persönlich geladen. Falls der dann nicht kommt und keine Entschuldigung glaubhaft macht, wird ihm schon im Vergleich ein Ordnungsgeld von 250 Euro angedroht. Und da macht Richter Klein keinen Scherz. Der DGB-Justiziar möge ihm ausrichten, dass sein Mandant bei einem Widerruf im Zweifel die erste Partei in diesem Verfahren sein wird, die eine Zahlung leistet. “Das hätte dann noch einen Erziehungscharakter”, so der Richter. Dem könne sich der Kläger nur entziehen, wenn er den Vergleich annimmt. Ansonsten geht es allerspätestens im Januar weiter.

  • NotAnonymousAtAal@feddit.org
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    9 hours ago

    "Erst die Schulung, dann der Vorfall

    Der Sachverhalt ist unstreitig: Es gab den Vorfall mit der Flasche, wenige Wochen nach einer Schulung für die Azubis zu den gefährlichen Stoffen und den Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz."