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BURG BEI MAGDEBURG taz | Auf einer Hauswand am Eingang der Altstadt steht: „Du hast den Wunsch, dich in eine Großstadt zu flüchten, wo kein Mensch dich kennt.“
Ein Zitat von Brigitte Reimann, der berühmten Schriftstellertochter der Stadt Burg in Sachsen-Anhalt.
Weiter heißt es da in blauen Buchstaben: „Jetzt packt mich manchmal ein Entsetzen vor diesem gefährlichen Pflaster, dass ich am liebsten in meinem kleinen, sturen Burg bleiben möchte.“
Doch heute scheint die ostdeutsche Kleinstadt gefährlicher als die Großstadt.
Es ist Montagabend und Christina Flögel – Mitte Fünfzig, drahtig – schaut sich nervös um.
Gegen rechts hat sie schon öfter demonstriert, einmal stand sie sogar mit einem Besen hier auf dem Rolandplatz, um „den braunen Schlamm“ wegzukehren.
In den Großstädten haben in den vergangenen Tagen Hunderttausende gegen Rechts protestiert. Hier in Burg findet heute eine Kundgebung der AfD statt.
Flögel ist hier, um dagegen zu protestieren. Doch kommen wieder nur die üblichen zehn oder fünfzehn Leute – oder doch ein paar mehr?
„Wir sind hier in der Defensive“, sagt Christina Flögel am Rand des Platzes, über den bislang nur Polizisten laufen. Umfragen sehen die AfD derzeit als stärkste Kraft in Sachsen-Anhalt.
Der Verfassungsschutz hat den Landesverband als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Der Fraktionschef, Ulrich Siegmund, nahm am Geheimtreffen in Potsdam teil.
Christina Flögel fürchtet, auf der AfD-Seite Gesichter zu sehen, die sie eigentlich mag.
Um 18 Uhr ist es auf dem Rolandplatz schon recht dunkel. Christina Flögel und ihr Mann können kaum erkennen, wer von den Ankommenden die angekündigten AfD-Abgeordneten hören möchte und wer zum Gegenprotest kommt.
Ein Polizist deutet Richtung Volksbank. „Die AfD steht hinten rechts“, sagt er und schmunzelt.
Noch klarer werden die Fronten, als jemand in einer größeren Gruppe einen Schirm in Regenbogenfarben aufspannt.
Die Gesichter der Flögels hellen sich auf, sie treten auf den Platz, treffen Bekannte auf ihrer Seite. „Heute geht’s nicht in die Muckibude, sondern zum Demonstrieren“, scherzen die älteren Herrschaften.
Lachen. Dann Glockenläuten, denn auch die evangelische Gemeinde hat aufgerufen.
Durch die Gruppe von Rechten bahnt sich ein Rollstuhl den Weg. Es ist Birgit Kiel, in der Hand ein „Omas-gegen-rechts“-Schild.
Ihr Ehemann schiebt den Rollstuhl, er versucht noch einen Bekannten zu bewegen, mit auf die andere Seite zu kommen.
Junge Freundinnen unterbrechen ihr Gespräch und beziehen auf den verschiedenen Seiten Position.
„Jeder kennt hier jeden. Viele haben Angst, gegen die AfD auf die Straße zu gehen“, sagt Birgit Kiel.
Ihr Ziel: möglichst viele zum Protest zu ermutigen. Mit Gesprächen in Berufsschulen, Vereinen und Geschäften.
Außer zu ihrer russischen Brieffreundin habe sie zu DDR-Zeiten kaum Kontakt zu Menschen mit anderen Hintergründen gehabt, sagt Kiel.
Das änderte sich, als 2015 syrische Geflüchtete in Burg ankamen und Kiel helfen wollte beim Deutschlernen.
In der Geflüchtetenunterkunft lernte sie Ashwaq Al-Obaidi kennen. Heute sind sie Freundinnen.
Im Irak geboren, lebt Al-Obaidi seit mehr als 25 Jahren in Burg, auch sie hilft Geflüchteten, hat zusammen mit Birgit Kiel den Integrationspreis des Landes Sachsen-Anhalt bekommen.
Auf der zentralen Schartauer Straße betreibt die mehrfache Mutter einen Dönerladen, es ist ein Anlaufpunkt in der Kleinstadt.
In Burg leben heute 10.000 Menschen weniger als 1990, es sind die Neu-Burger:innen, die Schulen und Innenstadt lebendig halten. Doch viele weigern sich, diese Chance zu sehen.
Nur ein paar Meter entfernt versuchten im Jahr 2020 Unbekannte in einem syrischen Lebensmittelgeschäft Feuer zu legen.
An die Tür schmierten sie ein Hakenkreuz. Schon früher kam es zu rassistisch motivierten Angriffen.
Die Justiz habe viele dieser Fälle verharmlost, kritisiert die Mobile Opferberatung.
Die Familie des Ladenbesitzers ist weggezogen, das Geschäft steht wie viele in der Straße leer.
Ein Sieg für die Rechten. Aber kein endgültiger. Denn Leute wie Christina Flögel und das Bündnis Burg gegen Rechts, dem Birgit Kiel und Ashwaq Al-Obaidi angehören, halten dagegen.
Auch einen syrischen Lebensmittelladen gibt es heute wieder. Mit Blumenkohl, Orangen, Okra-Schoten in der Auslage.
Mohammad und Dania Mimeh haben ihn vor drei Jahren eröffnet. „In den Laden kommen nur Leute, die mich kennen und lieben“, sagt Dania Mimeh am Nachmittag vor der Demonstration.
Wenn sie in der Stadt mit ihrem Kopftuch unterwegs sei, gebe es manchmal Probleme, „aber nicht so viel“.
Über die Kundgebung der AfD („Rechts vor Links statt Ampelschaltung“) wusste Mimeh Bescheid.
In der Whatsapp-Gruppe der syrischen Burger:innen wurde zum Gegenprotest aufgerufen.
Das Handy übersetzt aus dem Arabischen: „18 Uhr Volksbankpark“. So nennen die Syrer:innen den Parkplatz mit fünf Bäumen vor der Volksbank-Filiale, der nur offiziell Rolandplatz heißt.
Doch werden die Neu-Burger:innen mitprotestieren? Für sie ist das Pflaster schließlich besonders riskant.
300 Menschen stehen um 18.30 Uhr einer AfD-Gruppe von 120 Leuten frontal gegenüber.
Zum ersten Mal überbietet in Burg der Gegenprotest die AfD. In Zahlen und in Dezibel.
Studierende der internationalen Adventisten-Hochschule im Umland sind gekommen, Familien, Mitglieder von Stadtrat und Kreistag.
Mit Sprechchören, Trommeln, Pfeifen übertönen sie den AfD-Stadtrat, dann den Landtagsabgeordneten und schließlich Martin Reichardt, Bundestagsabgeordneter, AfD-Landesvorsitzender und Unterstützer des Höcke-Flügels.
Vor den Rednern hat sich die Junge Alternative mit Bannern aufgebaut, an den seitlichen Rändern des Platzes stehen eine Handvoll schwarz vermummte Männer. Antifa-Aktivisten?
Daneben einige Paare. Nur eines will reden. Die beiden sagen, dass sie sich beide Seiten anhören wollten. „‚Remigration‘ geht gar nicht“, sagt der Mann.
Es gebe genug andere Probleme als Migration. Von denen zu reden würde der AfD hier mehr Zustimmung bringen.
Als ob er das gehört hätte, ruft MdB Reichardt ins Mikrofon: „Wir lassen uns von unseren Freunden mit Migrationshintergrund nicht trennen.“
Der AfD gehe es nur um die Abschiebung straffälliger Ausländer. Applaus. Die Correctiv-Recherche? Für die AfD-Redner eine Kampagne der Ampel-Parteien. Dann geht es gegen Klimalobby und Finanzelite.
Doch der Protest gegenüber ist größer, lauter, hält länger durch. Als die Abgeordneten längst abgefahren sind, versuchen sechs Junge Alternative noch die Stellung auf dem kalten Platz zu halten.
Doch es fällt ihnen nichts anderes ein, als die Rufe der Demokrat:innen zu wiederholen, selbst das „Nazis raus!“.
300 Handytaschenlampen leuchten ihnen schließlich „den Weg nach Hause“.
Pfarrer Peter Gümbel schaut sich zufrieden auf dem Platz um. „Die AfD hat heute nicht gepunktet“, sagt der evangelische Geistliche, auch er gehört zum Bündnis gegen Rechts.
Gümbel sieht in den letzten Wochen „ein Aufwachen in der Gesellschaft“. Eines, das sich auch in Burg zeige. „Ich glaube, dass die AfD spürt, dass ihr Aufwind abflaut.“
Der Pfarrer erinnert an die Fachkräfte, die in der Region gebraucht würden. „Im Grunde genommen schadet die AfD nicht nur dem Frieden in Deutschland, sondern auch ökonomisch. Ich glaube, dass sie Angst kriegen, dass ihnen das auf die Füße fällt.“
Doch ist dieser Protestabend mehr als ein Strohfeuer? „Er stärkt diejenigen, die immer schon ihre Bauchschmerzen hatten gegen die Positionen der AfD, jetzt Farbe zu bekennen“, sagt Gümbel und hofft, dass es nun mehr Vernetzung gibt.
„Dass Parteien und Politiker eine Rolle spielen, um zu zeigen, dass es nicht nur ein paar Verrückte aus der Bevölkerung sind, die um die Demokratie kämpfen.“
Es sei wichtig gewesen, dass zum ersten Mal der Bürgermeister gekommen sei, auch Vertreter:innen von Die Partei, SPD, Linken, Grünen und FDP. Von der Union hat er niemanden gesehen.
Auch acht arabischstämmige Jugendliche sind gekommen, haben sich seitlich zu den Demonstrierenden gestellt. Als ob sie den Parteileuten und der Polizei nicht ganz vertrauten.
Als Pfarrersohn war Peter Gümbel zu DDR-Zeiten staatlich benachteiligt. Anzuecken scheut er sich deshalb nicht, wie er sagt.
Der Erhalt der demokratischen Struktur sei ihm umso wichtiger. „Mit den Wahlen in Thüringen und Brandenburg wird es spannend, was da für Konstellationen kommen. Wir müssen lernen, dass es in der Regierung Kontroversen gibt, und mitdiskutieren.“
Was er der Bundesregierung allerdings vorwerfe, sei, dass sie die Mittel für Demokratie-Initiativen beschnitten habe.
Die Veranstaltung zum Holocaust-Gedenktag am Samstag kann das Bündnis deshalb nur klein aufziehen. Ohne die jüdischen Musiker:innen, die sonst kamen.
Es wird nochmal laut auf dem Rolandplatz. Die schwarz Vermummten waren keine Antifaschisten, sondern Rechte, die Gegendemonstrant:innen beim Weggehen einzuschüchtern versuchen.
Doch es gelingt nicht. Die Polizei ist tatsächlich zur Stelle, und selbst jetzt noch sind die Demokrat:innen schlicht in der Mehrzahl.